Freiheit und Würde im Summer Sale
Europa hat gewählt, Deutschland hat gewählt. Wir wissen wieder woran wir sind. Wir verstehen zwar nicht was passiert ist, wir haben aber wieder sehr schnell, sehr passende Erklärungen gefunden.
Der Rechtsruck? Ja ist schlimm, aber so ist nun mal die Zeit. Die Menschen treibt die Sorge vor der Migration um.
Die Jugend hat nicht pro Klimaschutz gewählt? Fridays for Future ist einfach nicht mehr relevant und bringt kaum noch Menschen auf die Straße. Und überhaupt die jungen Menschen, die daddeln doch sowieso nur mit diesem TikTok rum.
Die SPD macht 2,5 Millionen Wähler zu Nichtwählern? Der Generalsekretär der SPD probierte sich dazu in Verrenkungen mit dem Begriff Schande. Weil das nicht reicht, soll es zusätzlich die Bestrafung von Schwarzarbeit bei sozial Schwachen richten. Schwarzarbeit ist bereits heute illegal und kann in manchen Fällen zu Freiheitsstrafen führen. Aber wen interessieren schon Details wenn man breitbeinig gegen schwache Gruppen austeilen kann.
Nicht mehr im Angebot: Linke Politik oder liberale Rhetorik
Es ist seit Jahren die gleiche kaputte Schallplatte die läuft, die gleiche Ambitionslosigkeit. Statt auf rechte Entwicklungen mit linken Ideen oder liberaler Rhetorik zu antworten, gibt es nur planlosen Einheitsbrei: Weniger Migration! Mehr Sparen! Sozial Benachteiligte härter bestrafen! In anderen Worten: Haltet den Dieb! Das ist wichtig, denn irgendeine Gruppe muss bestraft werden. Nur dann kann man behaupten, dass man den „Wählerwillen“ verstanden hat. Warum sich der Wählerwille immer nur in der Bestrafung von anderen, oft schwachen Gruppen ausdrücken soll, habe ich nie verstanden.
Ich wundere mich, dass es überhaupt noch rechte und rechtspopulistische Parteien in Deutschland gibt, schließlich machen die „Linken“ schon deren Job. Mir fehlt das “Linke” und Liberale bei den linken Parteien. Das ist einer der Gründe warum ich vor zwei Jahren aus der SPD ausgetreten bin. Ein anderer Grund war mein Verständnis von Frieden und einer Strategie wie Frieden gesichert wird.
Kurz gesagt, bei vielen Themen der letzten Jahre lag die SPD verlässlich falsch. 2,5 Millionen frischgebackene Nichtwähler sehen das inzwischen ähnlich. Eine ausführliche Analyse zur Performance der SPD bei der Europawahl folgt weiter unten.
Aber es sind nicht nur die Quälereien der SPD. Auch andere linke Parteien sind sehr engagiert, wenn es um das Verwehren von fairen Chancen geht.
Faule Ambitionen
Fabio de Masi war einmal mein Held. Der frühere Linkspartei Politiker war ein unbeugsamer Aufklärer bei den Cum-Ex Steuerskandalen. In Untersuchungsausschüssen und in der Öffentlichkeit war er unnachgiebig bei der Aufdeckung dieser Betrügereien. Er konnte das Geschehene und die Hintergründe gut und nachvollziehbar erklären. Zu jener Zeit forderte de Masi auch Aufklärung von einem Politiker, welcher die Warburg Bank in Hamburg vor Steuerrückzahlungen im Zusammenhang mit Cum-Ex verschont haben soll. Es kam zu keiner echten Aufklärung, weil der Politiker unter Erinnerungslücken litt, Erinnerungslücken so groß wie Schiffscontainer. Der andere Politiker? Olaf Scholz.
Fabio de Masi ist nicht mehr mein Held. Einige Tage vor der Europawahl ist er als Kandidat des Wagenknecht Chors mit den Spitzenkandidaten der anderen Parteien in der ARD aufgetreten. Befragt nach dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat er zuverlässig die talking points geliefert, die in Moskau heitere Zustimmung auslösen: verhandeln, einfrieren, keine Waffen liefern. So weit, so erwartbar.
Die Freiheit und Würde von anderen, in diesem Fall von Ukrainerinnen und Ukrainern preiszugeben, erscheint manchem „Linken“ einfach. Von dort ist es aber nicht mehr weit, die Freiheit und Würde der eigenen Leute preiszugeben. Es ist ein Charaktertest.
Man kann die Parolen des linken Lagers so zusammenfassen, vor der Europa-Wahl: Weniger Migration und mehr abschieben! Die Ukrainer sollen aufhören und sich ergeben!
Nach der Europa-Wahl: Weniger Migration und mehr abschieben! Und Sozialhilfeempfänger müssen jetzt – für irgendetwas – härter bestraft werden!
Der Summer Sale ist eröffnet
Linke und liberale Ideen haben seit Jahren einen schweren Stand in Deutschland. Wie schwer, das werden wir diesen Sommer beobachten können. Im September wird in drei ostdeutschen Bundesländern gewählt. Linke Politik starrt auf diese drei Wahlen, wie das Kaninchen auf die Schlange. Linke Politik plappert mangels eigener Ambitionen fleissig die Parolen der Populisten nach. Es ist nicht einmal eine Mogelpackung, die man uns anbietet. Es ist nichts.
Über den Sommer wird es wahrscheinlich einen Unterbietungswettbewerb geben. In der Logik von solchen Wahlkämpfen gewinnt derjenige, der auf die Freiheit und Würde einer bereits benachteiligten Gruppe einen großen Rabatt geben kann, es also besonders billig hinbekommt. Es macht dann auch keinen Unterschied, ob es um die Freiheit von Menschen in einem anderen Land oder um die Würde eines Mindestlohnempfängers in Thüringen geht. Alles hat einen Preis und auf alles gibt es einen Nachlass. Der Summer Sale ist eröffnet.
Ich glaube, dass Menschen ein sehr feines Gespür für Fairness und Gerechtigkeit besitzen. Wir haben das in uns. Aber sobald es nicht mehr fair zugeht, neigen wir auch dazu unseren Ärger und unseren Frust auszudrücken. Und einige von uns tun das an der Wahlurne. Und das ist ihr gutes Recht.
Als Gesellschaft können wir aber auch nur das ändern, was wir sehen und worüber wir sprechen. Links sein hieß einmal Missstände zu benennen und daraus gesellschaftlichen Fortschritt und Zusammenhalt zu ermöglichen. Linke Parteien konnten das mal. Fabio de Masi konnte das auch mal, siehe Cum-Ex.
„…ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird“, „Da geht es oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, und die treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz.“ Das sind keine Zitate von einer Politikerin, das ist die Erklärung von Anne Brorhilker, warum sie ihre Aufgabe als führende Staatsanwältin zur Verfolgung von Cum-Ex-Straftaten hingeschmissen hat.
Es gibt sie also noch, die Momente, aber vor allem die Menschen, die Missstände benennen. Die darauf aufmerksam machen, dass es eine dramatische Schieflage in der Gesellschaft gibt, zwischen „Oben“ der „Mitte“ und „Unten“. Es ist nicht nur die altbekannte Schere zwischen Arm und Reich, nein, es ist die Manifestation von unterschiedlichen Regeln und Privilegien für unterschiedliche Gruppen in der Gesellschaft. Wenn „Unten“ permanent wegen Krümeln gestritten wird, beispielsweise über die Erhöhung des Mindestlohns oder das soziale Beihilfen gekürzt werden sollen, dann muss man „Oben“ niemandem den Kuchen wegnehmen, z.B. durch eine bessere Steuergesetzgebung oder konsequentere Strafverfolgung von Steuerbetrügereien.
Nach dem Summer Sale ist vor dem Winter Sale
In persönlichen Gesprächen stelle ich öfter fest, dass einige Menschen ein seltsames Verständnis von linker Politik und „Links sein“ haben. Sie denken dabei an den Mao-, Sozialisten- und Kommunisten-Mist aus der Mottenkiste.
Das war Mist, das ist Mist, das bleibt Mist.
Mein aktuelles Verständnis von links dreht sich mehr um das Bild eines Punks. Punks sind Außenseiter, Misfits oder Non-Konforme. Punks haben schon immer den Status Quo herausgefordert. Und damit haben sie einen zwar kleinen, aber nachhaltigen Einfluss auf die Kultur und die Gesellschaft.
Wenn wir nur darüber sprechen welcher schwachen Gruppe wir mehr von ihrer Freiheit und ihrer Würde nehmen können, dann spielen wir das Spiel der Populisten. Weil linke Ideen und liberale Haltungen kaum noch vorkommen, braucht es einfach mehr Punks. Es braucht die Misfits, die gerne und lange über eine effektivere Strafverfolgung bei Cum-Ex Steuerbetrügereien sprechen. Es braucht die Non-Konformen, die wieder mehr über den Kuchen der Wenigen, als über die wenigen Krümel für die Vielen sprechen wollen.
Es braucht die Punks, welche die Rabattschilder von den Werten Freiheit und Würde herunterreißen.
Räumungsverkauf bei der SPD
Die SPD. Früher mal so stolz und heute so hilflos. Der wandelnde Widerspruch in Gestalt einer Partei. 2021 hingen Wahlplakate mit ihrem Spitzenkandidaten Olaf Scholz und dem Wort ‘Respekt’. Heute nach einer verlorenen Europa-Wahl stellt die SPD Sozialhilfeempfänger als Schwarzarbeiter dar und droht ihnen mit Strafen. Weil es als Schlagzeile taugt. Und weil Breitbeinigkeit die geistige und strategische Leere verdecken soll. Die Regale bei der SPD sind schon seit längerer Zeit leer.
Den gleichen unglaubwürdigen Trick mit Olaf Scholz auf dem Wahlplakat hat die SPD auch bei der Europa-Wahl versucht, diesmal mit dem Wort ‘Frieden’. Die 2,5 Millionen frischgebackenen Nichtwähler (nochmal: das sind ex-SPD Wählerinnen und Wähler von 2021) haben es als das wahrgenommen, was es ist: breitbeiniges Rumgeeiere.
Wenn ich die SPD beobachte, aber auch andere vermeintlich linke Parteien, muss ich an etwas denken, das ich vor einiger Zeit gelesen habe. Es drückt etwas derb aus, was passiert, wenn man sich nicht entschlossen für eine Richtung entscheidet: “Well, let’s not go peeing down both legs.”
Freiheit und Würde sind unbezahlbar. Wir brauchen mehr linke Ideen, wir brauchen mehr liberale Haltung, wir brauchen einfach mehr Punks.
Sei ein Punk!